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Seitdem es mehr als einen Menschen auf der Welt gibt, wird gestritten. Warum ist das so und was hilft dagegen?
Ich erlebe in meinen Coachings und Seminaren immer wieder Situationen, wo Führungskräfte mit der Frage zu mir kommen, wie sie mit Streitigkeiten mit Mitarbeitern oder auch zwischen Mitarbeitern umgehen sollen. Viel produktive Zeit wird unproduktiv zerredet und am Ende sind die Emotionen größer als das Ergebnis. Was kann dagegen getan werden?
Was ist die Ursache?
Für mich ist immer wichtig, die Ursachen zu kennen. Das hilft mir, Verständnis für meinen Gegenüber zu entwickeln und das ist häufig der erste Schritt, dann doch aufeinander zuzugehen. Und mit Ursache meine ich nicht die Ursache einer einzelnen Streitigkeit, sondern die grundsätzliche Frage, warum intelligente erwachsene Menschen das gleiche sehen und doch so unterschiedlich darüber urteilen, um sich dann anschließend trefflich darüber zu streiten.
Ein bildliches Beispiel
Sie gehen durch die Fußgängerzone einer Stadt und sehen einen Obdachlosen, der am Straßenrand sitzt und um Geld bettelt. Was denken nun wohl verschiedene Passanten, die an diesem Obdachlosen vorbeilaufen? Ich gebe Ihnen ein paar Ideen.
Person 1:
Der arme Kerl. Was hat ihn nur aus der Bahn geworfen? Vielleicht war er mal selbständig und sein größter Kunde hat plötzlich seine Rechnungen nicht mehr bezahlt. Deswegen sitzt er jetzt auf der Straße.
Person 2:
Der arme Kerl. Welche Prüfung muss er da grad bestehen? Welche Schuld hat er wohl auf sich geladen? Hoffentlich erfährt er bald Erlösung.
Person 3:
Warum sitzt denn der hier auf der Straße. In Deutschland muss niemand auf der Straße sitzen, die Hängematte unserer Sozialsysteme würde dem bestimmt auch was von unserem Sozialstaat abgeben.
Person 4:
Der arme Kerl. Das passiert, wenn man ohne Familie aus der Bahn geworfen wird. Wenn er eine Familie gehabt hätte, dann hätte die ihn sicher aufgefangen und ihm Halt gegeben.
Die Liste ließe sich beliebig verlängern und sicher haben Sie auch Ihre eigenen Gedanken bei der Vorstellung dieser Situation. Was aber hat das mit Streit oder unterschiedlichen Auffassungen über das gleiche Thema zu tun?
Nun, jeder dieser vier Beispiel-Personen denkt deswegen anders, weil er/sie eine jeweils andere eigene Biographie hat. Um es aufzulösen
Person 1 ist selbständig und arbeitet mehr oder weniger von der Hand in den Mund.
Person 2 ist religiös erzogen.
Person 3 ärgert sich über die zu zahlenden Steuern.
Person 4 wünscht sich nichts sehnlicher als eine Familie.
Die Erkenntnis
Will sagen, jeder Mensch urteilt eine vordergründig identische Situation immer nach seiner eigenen Sozialisierung, seiner Erfahrung und seinen Ängsten. Und wir wissen häufig nicht, welches Päckchen unser Gegenüber da mit sich rumträgt.
Dieses Beispiel macht einen weiteren wichtigen Punkt deutlich. Je aggressiver wir auf bestimmte Situationen reagieren, desto mehr gehen wir damit Resonanz, weil WIR uns damit angesprochen fühlen. Denn wenn der Obdachlose im vorgenannten Beispiel keine Gefühle (z.B. Ängste) bei uns auslösen würde, dann würden wir ihn gar nicht zur Kenntnis nehmen oder? Deswegen sagt jede unserer Reaktionen über UNS mehr aus, als über unseren Gegenüber.
Um noch einen Schritt weiter zu denken. Zwei Menschen treffen sich zu einer Besprechung. Wie viele Besprechungen finden statt? Richtig – Zwei, denn jeder nimmt aus der Besprechung genau das mit, was ihn triggert. Treffen sich als Führungskraft und Mitarbeiter, um etwas zu besprechen, dann kann es sein, das die Führungskraft dem Vorstand etwas völlig anderes berichtet, als der Mitarbeiter seinen Kollegen. Denn beide haben ihr Meeting im Kopf. Und beide haben Recht.
Wenn Sie sich das nächste Mal also wundern, warum Ihnen zwei Beteiligte eines Meetings unabhängig voneinander eine jeweils ganz andere Geschichte erzählen, dann denken Sie gern an den Bettler in der Fußgängerzone zurück.
Und wenn Sie den nächsten Streit mit einem anderen Menschen haben, dann mögen Sie ebenfalls an den Bettler denken im Sinne von „vielleicht hat mein Gegenüber aus seiner Erfahrung und von seinem Blickwinkel her für sich gesehen ja Recht“. Und wenn das so ist und Sie beide Recht haben, dann liegt die Wahrheit (wenn es sie denn überhaupt gibt) irgendwo auf der Verbindungslinie zwischen Ihnen beiden. Und dann ist doch nur die Frage, wer die Größe hat, den ersten Schritt zu tun.
In den meisten Streitfällen ist es nicht die vermeintliche Dummheit des Gegenübers, sondern seine Biographie und Erfahrung. Beides sollten wir in dem Maße zugestehen, wie wir es auch für uns in Anspruch nehmen – Führungskraft hin oder her.
Ich wünsche Ihnen als Führungskraft und insbesondere als Mensch die Weitsicht, Ihr Gegenüber wertschätzend und partnerschaftlich annehmen zu können. Und ich freue mich, wenn Sie mir Ihre Erfahrungen und Meinung dazu per Mail oder über die sozialen Medien teilen.
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- Warum für Führungskräfte Optimismus und Herzlichkeit ebenso wichtig sind wie Strategie und Wachstum
- Wieviel Privates sollten Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitern in der Arbeitszeit gestatten?
Hier noch das passende Zitat eines Seminar-Teilnehmers:
Das Seminar hat mir den Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung auch anhand von Rollenspielen sehr deutlich gemacht und mir gute Dankanstöße gegeben meine Wirkung auf andere wahrzunehmen und mein Handeln und Denken selbstkritisch zu reflektieren. Die Erkenntnisse kann ich im täglichen Arbeits(-leben) positiv einbringen.
Florian Warnecke, Leiter Rechnungswesen der XOX Gebäck GmbH, Hameln
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